„Hallo Steffen, hier ist Claus vom Seefuchs. Pass auf, wir haben unseren Plan etwas angepasst, wir werden morgen gegen Mitternacht auslaufen. Am besten wäre es, du bist gegen 17 Uhr hier. Dann können wir noch ganz in Ruhe einladen und ich zeig dir noch das Schiff“. Ich bestätige die Uhrzeit und fange an zu packen. Was nimmt am besten auf so einem Schiff mit? Der Tipp war: „Hauptsache keine Sonntagsklamotten und warm müssen die Klamotten halten.“ Ich suche mir also ein paar Jeans raus, zwei alte Pullover, den Regenanzug, alte Schuhe, Gummistiefel (ganz wichtig) und noch meine alte Winterjacke. Den Schlafsack und Isomatte herausgekramt, wer weiß ja schon, wie die Übernachtungsmöglichkeiten aussehen. Am nächsten Tag ins Auto gestiegen, Kurs in Richtung Stralsund gesetzt und los ging es.
In Stralsund angekommen, musste ich noch über die alte Rügenbrücke auf die Insel Dänholm. Schon beim Überqueren der Brücke konnte man das ehemalige Fischereischiff, rot angestrichen an seinem Liegeplatz erkennen. Wie abgemacht, schiebe ich einfach das Tor vom Museum zur Seite und fahre direkt zum Schiff vor, um mein Gepäck auszuladen. Beim Öffnen des Kofferraumes lass ich den Blick durch die Gegend schweifen. Links von mir sind einige Seefahrzeuge vom Museum „Nautinum“ ausgestellt. Hinter diesen Fahrzeugen erhob sich die riesige Volkswerft Stralsund mit seinen Kränen. Rechts von mir im Kanal lagen ebenfalls zwei Forschungsschiffe und ein Schiff von der Küstenwache. Diese Schiffe waren recht neu und der Seefuchs (Baujahr 1958) wirkte daher schon doch etwas älter. Der Blick zur alten und neuen Rügenbrücke ließ typisches Hafentreiben erkennen. Schiffe wurde beladen, Ladungen wurden gelöscht.
Als mein Blick sich wieder dem Seefuchs sich zuwendete, kam auch schon einer der Schiffseigener Claus über die Rampe und begrüßte mich herzlichst. Als erstes zeigte er mir die Schlafplätze, bzw. Kojen im Vordergang. Es ging ein paar schmale Stufen runter in den ehemaligen Ladebereich im Bug. Da ich ja als erster das Schiff betreten hatte, suchte ich mir also auch die beste Schlafmöglichkeit aus. Ich legte meinen Kram in die Koje und folgte dann Claus über das Deck Richtung Achtern zur Messe. Bei frisch aufgebrühtem Tee erklärte mir Claus, wie die ganzen Expedition eigentlich so laufen wird. Ziel der Expedition: Die Aufnahmegeräte der Schweinswalbojen einsammeln und durch neue ersetzen. Eigentlich recht einfach: Die Messgeräte zeichnen circa zwei Monate Geräusche der Meeressäuger zur späteren Auswertung auf. Diese Bojen sind an bestimmten Stellen östlich bis nördlich vor der Insel Rügen verteilt. Meine Aufgabe: Helfende Hand für alles, Unterstützung und das Hinterfragen der Seemannsromantik.
Nach dem Tee zeigte man mir den Rest des Schiffes: Brücke, Achterdeck und den Maschinenraum. Im Maschinenraum wurden mir die wichtigen Anzeigen für diverse Temperaturen, Flüssigkeitsstände und Druckverhältnisse der einzelnen Gerätschaften an den Motoren gezeigt, im Falle, dass ich diese auch alleine interpretieren und damit umzugehen müsste.
Die Dämmerung setzte ein und so langsam tauchten alle der insgesamt acht Besatzungsmitglieder auf. Kapitän, Steuermann, Maschinist, Expeditionsleiter und Mitarbeiterin und Mitarbeiter ein. Der Proviant wurde in die Lager verstaut und auf dem Herd köchelte noch die Abendsuppe vor sich hin. Die Route wird im Navigationsgerät eingegeben und das Schiff zur Abfahrt vorbereitet. Ich entschied mich bis zum Motorenstart noch eine Runde aufs Ohr zu hauen, da wir die Nacht durchfahren würden.
Gegen Mitternacht war es dann soweit. In einer 10 minütigen Startprozedur warfen wir die Hauptmaschine an und das Dieselaggregat brachte sich in Schwung. Dieses Arbeitsgeräusch sollte nun in den nächsten Stunden nicht aufhören. 30 Minuten später hieß es dann „Leinen los, leichte Fahrt zurück!“. Das Schiff setzte sich langsam in Bewegung. „Steffen, jetzt gibt es kein Zurück mehr!“, rief der Captain noch zu mir mit einem leichten Lächeln im Gesicht und wir fuhren in östlicher Richtung über den Strelasund in Richtung pommersche Bucht. Geschätzte Ankunftszeit zur ersten Station: 0630. Nach zwei Stunden Fahrt löste uns die nächste Wachmannschaft ab und ich stieg in die Koje.
In der Nacht bemerkte man deutlich, wie die See rauer wurde, das Schiff rollte leicht nach rechts und links. Zwischen mir in der Koje und der Wasserlinie war nur etwas Stahl und man hörte, wie das Schiff sich durch das Wasser pflügte. Ungewohnte Geräusche für mich, aber man konnte trotzdem gut schlafen in dieser schwankenden Umgebung.
Am nächsten Morgen stieg ich ganz normal aus der Koje und ging wieder über die schmalen Stufen zum Hauptdeck. Auf der letzten Stufe erkannte ich dann, dass wir uns nun mitten auf der See befanden: Kein Land zu sehen und die Wellen sorgten wieder für schwankende Schiffsbewegungen. Der Gang zur Messe musste ich in zahlreichen Ausfallschritten absolvieren, um nicht ganz das Gleichgewicht zu verlieren. In der Messe angekommen, begrüßte man mich mit Tee und Brötchen (ich war der letzte, welcher zum Frühstück erschienen ist). Nach dem ausgiebigen Frühstück machte ich erstmal unsere Position aus, um überhaupt zu sehen, wo wir uns nun befinden. Der Monitor zeigte uns irgendwo auf dem „Adlergrund“.
Die nächste Station war bereits in Sichtweite. Mit langsamer Fahrt näherten wir uns der Orientierungstonne. Meine Aufgabe war nun, mich auf den Bug zu stellen und dem Steuermann zu zeigen, wo sich die Tonne befindet, damit wir diese nicht über den Haufen fahren. Neben der Tonne waren zwei kleine Bojen zu erkennen, an denen waren die Aufnahmegeräte für die Schweinswale angehangen. Mit dem langen Bootshaken stand ich also auf der Spitze und beobachte das Treiben der in fischerreimäßigen bekleideten Mannschaft. Mit einem Haken wurden die Bojen eingefangen und anschließend über eine Winde auf das Boot gezogen. Während des Einholens wurden schon zahlreiche Muscheln und andere kleine Arten von Meeresbewohnern von den Seilen entfernt und auf dem Deck verteilt. Es machte sich ein typische Strandgeruch breit, als ob man direkt am Strand stehen würde, an dem in der Nacht viel angespült wurde.
Nach dem alles sauber gemacht wurde, wurde das neue Aufnahmegerät an die Seile der Bojen gehangen und alles ganz langsam wieder ins Meer entlassen.
Im weiteren Tagesverlauf holten wir dann noch vier weitere Bojen ein und erneuerten deren Aufnahmegeräte. Zwischen den Stationen hatte man viel Zeit, welche vielseitig genutzt wurde. Ich persönlich stellte mich einfach vorne auf den Bug und blickte in den nicht endenden Horizont. Einfach die Seele baumeln lassen und den Kopf frei bekommen. Zwischendurch ging es immer wieder in den Maschinenraum, um zu sehen, ob noch alles funktioniert. Natürlich wurde ich auch auf die Brücke gestellt, um etwas mehr über Navigation auf der See zu lernen und auch, wie man so ein Schiff steuert. Zwei Stunden lang übernahm ich das Steuer und hielt den vorgegeben Kurs stabil. Mit circa 9 Knoten, knapp 16 km/h fuhren wir immer weiter in westliche Richtung.
Nach der letzten Station für diesen Tag fuhren wir in die geschützte Bucht vor Hiddensee. Der Ankerkette ratterte laut den Bug runter und der Anker verschwand in der Tiefe. Das Ankerseil war nun fest gestrafft und der Hauptdiesel konnte abgeschaltet werden. Nach 15 Stunden mit dem ständigen Geräusch von diesem Ungetüm wurde es nach dem Abschalten sehr sehr ruhig auf dem Schiff. Eine angenehme Ruhe macht sich breit. Als es dann dämmerte wurde allen zum Abendbrot gerufen. Es gab es ausgiebiges Essen aus Buletten, Kartoffeln, selbst gemachten Sauce, Salat und Quarkspeise. Besser hätte man den Tag nicht abschließen können.
Die Sonne verabschiedete sich langsam am Horizont und der Abend war mild. Alle saßen noch etwas auf dem Deck und tauschten Geschichten aus. Immer wieder kamen auch kleine Fischerboote vorbei, um den Fang an Land zu bringen. Von Hiddensee aus beleuchtete uns der Leuchtturm auf dem Dornbusch. Wieder Seefahrtsromantik pur.
Die Nacht war auch sehr entspannt, da die See sehr ruhig war. Nach dem Frühstück gab es dann wieder die normalen Aktivitäten. Motor starten, Anker einholen und bitte alles so verstauen, dass nichts durch die Gegend fliegt. Der Wetterbericht hatte etwas Wind angesagt und die offene See sollte rauer als dem Vortag werden. Gesagt, getan. Wir fuhren aus der Bucht hinaus, wieder Richtung Westen bis zur nächsten Tonne. Die raue See war wirklich zu spüren. Die Wellen, welche uns Backbord trafen, sorgten für etwas Wasser auf dem Deck. Das Schiff tanzte durch die Wellen mit circa 8 Knoten. Auf unserem Weg begleiteten uns einige Segelboote, welche auch ordentlich mit dem Wind zu tun hatten.
An der ersten Station machten uns die Wellen die Arbeit schwerer als erwartet, es dauerte bemerklich länger die Bojen einzuholen. Da wir aber am Vortag mehr Station abfahren konnten als geplant, konnten wir uns nun mit den letzten zwei Stationen doch mehr Zeit lassen.
Auf dem Weg zurück bereitete unser Koch das Donnerstagsmahl vor. Donnerstag ist der sogenannte Schiffersonntag. Es konnte mir zwar keiner erklären, warum der Donnerstag dafür auserwählt wurde, aber der Sinn dahinter war eindeutig: Donnerstags gibt auf See das Beste, was die Küche hergeben kann. So wie an Land das Beste am Sonntag serviert wird. Während der Vorbereitungen übernahm ich auch wieder eine Zeit lang das Steuer. Das Wetter besserte sich, der Himmel wurde wolkenlos und man hatte einen 1A Blick auf die Insel Rügen. Langsam fuhren wir am Königstuhl und den Kreidefelsen vorbei. Langsam färbte sich der Himmel durch die untergehende Sonne rot, es ergab einen Wahnsinns Blick von der Brücke und vom Deck aus. Die Umgebung wurde dunkler und anschließend waren nur einzelne Lichter an der Küste, der Mond und die roten und grünen Lichter der Fahrbojen zu erkennen. Da auch kaum andere Schiffe unterwegs waren, hörte man nur noch den Schiffsdiesel und das genügsame verdrängen des Wassers durch den Schiffsrumpf.
Gegen Mitternacht erreichten wir den Heimathafen. Da dieser aber ungünstig für das Schiff, bzw. für unsere Fahrtrichtung liegt benötigten wir einige Anläufe, um das Boot sicher anzutauen. Nachdem Das Schiff fest verzurrt wurde, schalteten wir wieder den Diesel ab. Schon wieder breitete sich ein Gefühl der Stille aus. Die letzten Arbeiten wurden auch erledigt und so allmählich verließen die einzelnen Crewmitglieder das Schiff. Am Ende waren nur noch der Bootseigener, der Kapitän und ich an Bord. Wir schlossen den Abend mit einem Bierchen ab und die beiden gaben noch einige spannende Seemannsgeschichten von sich.
Am nächsten Tag hieß es dann auch für mich: Alles zusammenpacken und das Schiff verlassen.
Es war ein wirklich spannender Trip mit vielen unbekannten, welche aber erfolgreich gemeistert wurden. Da ich noch nie auf so einem Schiff selber mitgefahren bin, war hier alles für mich neu. Ein kleiner eigener Kosmos in sich. Die Crew war sehr genügsam mit mir und wir hatten eine tolle Zeit zusammen. Die Expedition war auch sehr erfolgreich und alle Walbojen konnten durch neue ersetzt werden. Die Daten, welche von den Bojen aufgenommen wurde konnten vermutlich auch bereits ordentlich genutzt werden.
Hier sind noch mal alle Bilder: